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Blog

Von Kirsten Achtelik

 

Am Freitag, den 27. November, betrat ein mittelalter weißer Mann die Planned Parenthood Klinik in Colorado Springs, USA. In der Klinik werden auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Fünf Stunden später hatte er drei Leute erschossen und neun so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus mussten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um einen Abtreibungsgegner, um einen „Lebensschützer“ handelt. Als er nach Stunden aufgab und sich von der Polizei abführen ließ, soll er „No more baby parts“, also „keine Leichenteile von Babys mehr“, gesagt haben.
Diese Aussage verweist auf eine ziemlich erfolgreiche Kampagne der radikalen Abtreibungsgegner*innen gegen Planned Parenthood: Das Center for Medical Progress hatte ab Juli 2015 eine Reihe von stark bearbeiteten Videos veröffentlicht, die Planned-Parenthood-Verantwortliche im Geschäftsgespräch über den „Verkauf“ von „Babyteilen“ zeigen sollen. Die Stiftung Feminist Majority Foundation stellte daraufhin einen starken Anstieg der Angriffe und Gewaltandrohungen gegen die Planned Parenthood Zentren fest. Bei den Verhandlungen über den Bundeshaushalt wurde mit Verweis auf die Aufnahmen die Einstellung der staatlichen Zahlungen an Planned Parenthood diskutiert. Und nun dieser Anschlag.
Dies sind nach sechs Jahren die ersten Menschen, die in den USA von „Lebensschützern“ umgebracht worden sind – nach Dr. George Tiller, der als einer der wenigen Gynäkologen in den USA noch späte Abbrüche durchgeführt hatte.
Wird das Klima rauer? Müssen wir, die wir „pro choice“ sind, jetzt nicht erst recht alle zusammenhalten, unsere „abortion provider“ supporten und die innerfeministischen Differenzen ruhen lassen? Ist ein Text wie mein Buch „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“ nicht gerade jetzt ganz falsch? Das erste Interview zu meinem Buch erschien unter der Überschrift „Es gibt feministische Argumente gegen Abtreibungen“ – schadet das nicht der Sache? Wahrscheinlich denken das einige (die das aber wohl vor dem Anschlag auch schon gedacht haben), und auch ich habe mir darüber vor meiner ersten Buchvorstellung nach dem Anschlag den Kopf zerbrochen.
Was ist das Problem der Abtreibungsgegner*innen mit der Abgabe fötalen Gewebes zu Forschungszwecken? Unethischer, als menschliches Gewebe als Sondermüll zu entsorgen, ist das auch nicht. Und auch die selbsternannten Lebensschützer finden die Abgabe gegen eine Aufwandsentschädigung weniger heikel, als den Umstand, dass es überhaupt existiert: Ihr Problem ist die vorangegangene Abtreibung. Das kann man aber nicht so schön skandalisieren wie den „Verkauf“ von „baby parts“.
Und hier sind wir schon bei dem Thema, das mich als politische Aktivistin beschäftigt: die Strategien der Abtreibungsgegner*innen und mein Plädoyer dafür, diese genau zu analysieren und strategisch geschickt darauf zu antworten. Diese Strategien habe ich in meinem Buch anhand der hierzulande virulenten biopolitischen Fragen von Behinderung und Diskriminierung durchdiskutiert. Ich plädiere dafür, dass Feminist*innen eine Kritik an selektiver Pränataldiagnostik und selektiven Abbrüchen (also solchen, die wegen einer diagnostizierten Behinderung des Fötus durchgeführt werden) entwickeln sollen. Zum einen, um den selbsternannten Lebensschützern nicht das Feld zu überlassen, aber auch, weil ich es wichtig finde, nicht mantraähnlich die bekannte Formel zu wiederholen, dass „eine Frau am besten weiß, was sie braucht“ und man daher in eine solche Entscheidung weder reinreden, noch sie kritisieren dürfe.
Es gibt feministische Argumente gegen Abtreibungen – und noch mehr gegen die Suche nach dem Fehler am Fötus. Wir müssen darüber diskutieren, welche Begriffe von Gesundheit, von Wissen und von Rechten wir benutzen und in welchem Kontext das jeweils sinnvoll ist. Wir müssen über Strategien sprechen. Die Reihen schließen ist eine mögliche, aber ist es auch die sinnvollste?
Ich bin für die Streichung des § 218 aus dem deutschen Strafgesetzbuch und der entsprechenden Paragrafen aus allen anderen Gesetzbüchern weltweit. Es ist wichtig, dass Frauen überall ohne Stigmatisierung, Angst oder Geldnöte eine ungewollte Schwangerschaft beenden können. Ich bin froh, dass es überall Leute – Gynäkolog*innen, Berater*innen, Feminist*innen – gibt, die dies auch unter widrigen Bedingungen ermöglichen.
Ich glaube aber auch, dass wir in der Durchsetzung dieser Rechte und Möglichkeiten nicht weiterkommen, wenn wir uns nicht auch die problematischen Aspekte von Abtreibungsentscheidungen und die feministischen Debatten darum anschauen – beispielsweise, ob es zur Selbstbestimmung und zur reproduktiven Gesundheit dazugehören sollte, jede mögliche pränatale Untersuchung anzubieten und Frauen darin zu bestärken, ihr „Recht auf Wissen“ wahrzunehmen.
Pro Familia, die deutsche Partnerorganisation von Planned Parenthood, begrüßte 2011 die Legalisierung von Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland als Garantie für die „verfassungsgemäßen Grundrechte auf selbstbestimmte Familienplanung und auf Gesundheitsschutz“. PID ist aber eine selektive Methode, die zwischen den „guten“ Embryonen, die eingepflanzt werden, und den „schlechten“, die verworfen werden, unterscheidet. Der Wunsch nach einem eigenen, gesunden Kind mag nachvollziehbar sein, wenn Feminist*innen aber ein Recht darauf fordern, haben wir ein Problem.
Lasst uns die Reihen schließen, meinetwegen. Aber lasst uns in diesen Reihen ganz viel miteinander diskutieren.