Von Philip Meinhold
Die Reste der Trümmertruppe „Bärgida“ ziehen allmontaglich durch die Hauptstadt. Ein Bericht aus dem Berliner Bodensatz.
Von der breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, finden auch in Berlin nach wie vor wöchentliche Demonstrationen des lokalen Pegida-Ablegers mit dem sinnfreien Akronym „Bärgida“ statt – wobei die fehlende öffentliche Wahrnehmung den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht unbedingt zum Schaden gereichen dürfte.
Denn was sich dort allmontäglich auf dem Moabiter Vorplatz des Berliner Hauptbahnhofs versammelt, ist eine Trümmertruppe sondergleichen: eine handvoll alkoholgeschädigter Hooligans, ein paar ihrer Schrankwandwelt entkommene biedere alte Paare, dazu die übliche Melange aus Reichsbürgern, Verschwörungsgläubigen und sonstigen Irren, wie man sie auch auf den friedensbewegten Montagsmahnwachen findet. Kurz: Es ist das letzte Aufgebot des Patriotismus, das sich hier Montag für Montag ein Stelldichein gibt.
Besonders eindrucksvoll war dies zu erleben, als man kürzlich beschloss, anstelle einer Demonstration eine Kundgebung mit offenem Mikrofon abzuhalten, sodass all der Irrsinn, der sich sonst heimlich, still und leise im Hohlraum zwischen den Ohren bewegt, von den Teilnehmern öffentlich kundgetan werden durfte.
Zunächst eröffnete Organisator Karl Schmitt die Veranstaltung mit dem längst bekannten Hinweis, dass die antifaschistischen Gegendemonstranten hinter den polizeilichen Absperrgittern mit 25 Euro pro Stunde vom deutschen Staat entlohnt würden; dies habe ihm eine Bekannte bestätigt, die jemanden in der autonomen Szene kenne (womöglich war es aber auch nur die Bekannte einer Bekannten, die jemanden kannte, der wiederum jemanden kennt, in jedem Fall schien die Aussage so gut wie verifiziert) – um direkt danach die eigenen Teilnehmer zu Freibier einzuladen, das man von Spendengeldern gekauft habe. Natürlich nicht, um sich zu besaufen, wie der Redner erklärte, denn dies sei schließlich – Zitat: „nicht der Hauptgrund unseres Zusammentreffens“.
Es folgte die Spontan-Ansprache einer Christin, die ihre Rede mit den Worten „Lasst uns beten“ begann, sowie die leicht ins Hysterische kippende und mit „Mohammed muss weg!“-Sprechchören bejubelte Koran-Exegese eines Hobby-Theologen, bevor sich ein Vertreter des – tatsächlich – „Bündnis deutscher Hooligans“ an alle „Patrioten, Hooligans, Rocker oder Normalbürger“ richtete: „Es ist egal, ob du Deutscher, ob du dick oder dünn, ob du alt, behindert oder sonst was bist: Komm mit uns zusammen auf die Straße, wenn du Deutschland liebst und etwas veränderst möchtest.“ Womit er die Bärgida-Zielgruppe ziemlich akkurat umrissen hatte – nur muslimisch, empathisch oder allzu intelligent sollte man eben nicht sein.
Auf dem Podium neben dem Sportsfreund versammelte sich ein Dutzend seiner angetrunkenen Kameraden als Chor, die die Rede immer wieder mit rhythmischen „Ahu!“-Rufen unterbrachen – dem affenartigen Schlachtruf der Hooligans aus dem Sandalenschinken „300“.
Last but not least erklomm schließlich Heribert Eisenhardt, Vorstandsmitglied der Lichtenberger AfD, die Bühne, der statt einer Rede seine Gitarre mitgebracht hatte, um dem geistig entrückten Publikum eine deutsche Interpretation von Tina Turners Klassiker „We don’ t need another hero“ darzubringen. Leider konnte er weder Gitarre spielen noch singen, sodass die abschließend gemeinschaftlich intonierten drei Strophen des Deutschlandlieds geradezu erholsam wirkten.
Und so geht von den wöchentlichen Berliner Bärgida-Kundgebungen vor allem eine entscheidende Botschaft aus: Wenn dies die Rettung des Abendlandes sein soll, dann brauchen wir uns um den Untergang Deutschlands keine Sorgen zu machen. Darauf ein Freibier, bitte!
Erstveröffentlicht in der taz vom 21.07.2015