Die Männer und Frauen, die in „Chinageschichten“ zu Wort kommen, sind heute um die achtzig Jahre alt. Sie waren also 1949, als Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik China ausrief, um die Zwanzig. Damit gehören sie zur Aufbaugeneration ihres Landes. Sie haben noch ein Stück altes China erlebt, kennen das Ende der letzten Dynastie aus den Erzählungen der Eltern, wissen, wie geschnürte Füße aussahen und wie es in Peking zur Zeit der japanischen Besatzung zuging.
Einige von ihnen haben vor 1949 den Bürgerkrieg auf der Seite der Kommunisten erlebt, andere sprechen am liebsten von der Zeit nach 1953, als in China Aufbruchstimmung herrschte. Einige sind fast verhungert, als Mao Zedong den „Großen Sprung nach vorn“ ausrief und eine der schlimmsten Hungersnöte der Geschichte auslöste. In „Chinageschichten“ erzählen Menschen von der Kulturrevolution und von der Öffnung Chinas in den achtziger Jahren. 1989, als die chinesische Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens niedergeschlagen wurde, gingen die Protagonisten dieses Buches in Rente. Sie berichten auch von ihren Enkeln, den „brandneuen Menschen“, die in relativem Wohlstand aufgewachsen sind und nie die „Bitterkeit gekostet“ haben.
In diesem Buch kommen Menschen unterschiedlichster Gesellschaftsschichten vor: ein Sohn eines Lehrers in der Provinz Sichuan, der in Peking leitender Ingenieur wurde und mehrfach beruflich ins Ausland reiste, eine Tochter aus einer armen Pekinger Handwerkerfamilie, die in den fünfziger Jahren freiwillig aufs Land ging und dort selbiges mit aufbauen wollte; ein Soldat, der im antijapanischen Krieg auf Seiten der Kommunisten kämpfte – sowie ein Pekingopernsänger, der im Peking vor der japanischen Besatzung auf eine Opernschule ging und während der Kulturrevolution Revolutionsopern sang.
„Chinageschichten“ ist – in der Tradition der Gesprächsprotokoll-Literatur – ein Versuch der Annäherung an das Land „unterhalb“ der großen Politik, aus der Perspektive des privaten Lebens und der Vertracktheiten der Organisation des Alltags zwischen gesellschaftlichen und politischen Wandlungsprozessen, wie sie selten drastischer waren als in diesem letzten Jahrhundert in China, und individueller Selbstbehauptung und Glücksuche. Das Buch ist mit aktuellen Porträtfotos bebildert und enthält Fotos aus den privaten Archiven.
Chinageschichten
14,00 €
Broschur, 320 Seiten, vergriffen
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Eine bewegende Dokumentation.
Stefan Schomann / Die Zeit
Es werden tragische Geschichten von Denunziation in der eigenen Familie erzählt, aber bei keinem einzigen der Porträtierten ist von Verbitterung die Rede. Die von Susanne Messmer angeregten Geschichten erlauben einen Blick in ein Land, das sich schon wieder völlig gewandelt hat und mit dem, was hier erzählt wird, kaum noch etwas zu tun zu haben scheint.
Dieter Wenk / textem.de