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New Ghost Entertainment-Entitled

8,00 

Broschur, 88 Seiten, vierfarbig, vergriffen

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Den Titel für dieses Projekt habe ich in einem Buch über Mediengeschichte auf der Reproduktion eines Plakats des Londoner Royal Polytechnic Institute gefunden. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Anzeige für eine Laterna Magica oder Phantasmagorie-Show. Diese öffentlichen Veranstaltungen, komplexe Gespenstershows mit großem Unterhaltungswert, lassen sich bis ins späte achtzehnte und frühe neunzehnte Jahrhundert zurückverfolgen. Populär wurden sie damit genau zu dem Zeitpunkt, als der Zeitgeist nach der Aufklärung den Aberglauben aus dem Alltag zu verbannen suchte. Mit ihnen entstand ein Medium, das sich mehrdeutig zwischen rationalen und irrationalen Vorgaben bewegte und das Unheimliche mittels der optischen Illusion wieder im Bereich menschlicher Erfahrung verortete.
„New Ghost Entertainment-Entitled“ entwickelte sich aus der Idee Geister als Denkmodell für aktuelle gesellschaftliche Ereignisse und deren mediale Repräsentation zu benutzen. Zunächst ging es dabei um Fragen der Zeugenschaft und der Vermittlung von Nachrichten oder sogenannter Information in der gespenstisch dinglichen Welt der „neuen Mitte“ – eine Kulisse, die ständig überwacht und gesichert werden muss.
Weitere Recherche brachte mediumistische Praktiken und Gespenstergeschichten ins Spiel, die sowohl als besondere Formen von Nachrichtenvermittlung als auch als historische Beispiele der Verknüpfung von Gespenst und Politik gelten können. Die Spiritualismuswelle in Europa und Amerika in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts kann in direktem Bezug zu modernen Reproduktions- und Kommunikationstechnologien wie Fotografie, Telegrafie und Radiofunk gesehen werden. Aus heutiger Sicht betrachtet, überschneiden sich im Phänomen der Geisterfotografie Fragen von ZeugInnenschaft und fotografischer Dokumentation. Bereits zu seiner Zeit wurde moderner Spiritualismus sowohl als experimentelle Wissenschaft als auch als religiöse Bewegung verstanden und stand häufig in enger Verbindung mit reformpolitischen oder feministischen Anliegen, wie z.B. der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei und der frühen Frauenbewegung. Gleichzeitig boten Gespenstergeschichten im neunzehnten Jahrhundert ein Forum für die Entwicklung feministischer und utopischer Ideen. Die Gespensterfigur kann hier als ein Symbol für die Unsichtbarkeit und die Personifizierung oder Darstellung des Unaussprechbaren verstanden werden.
Zur Zeit haben Gespenster wieder Hochkonjunktur: Sie haben nicht nur den theoretischen Diskurs des vergangenen Jahrzehnts „heimgesucht“, am bekanntesten in den Werken Jacques Derridas, zahlreiche Dissertationen und Veröffentlichungen aus den Bereichen der Literatur-, Film- und Kulturwissenschaften sowie der Postcolonial und Gender Studies untersuchen darüber hinaus die sozialen Bedeutungen von Phantasmen und Wiedergängern aus verschiedenen Perspektiven. Auch im Bereich der Kunst haben sie eine Wiederbelebung erfahren und man findet sie häufig in Ausstellungstiteln, Artikeln, Filmen und Fernsehsendungen.
All dies hat zu der Idee beigetragen, AutorInnen und KünstlerInnen zu versammeln, die in ihrer Arbeit Geister heraufbeschwören zu scheinen. „New Ghost Entertainment-Entitled“ stellt die Frage, ob eine Beschäftigung mit Medien, Spiritualismus und Gespenstergeschichten ein zeitgemäßer Ansatzpunkt sein kann, um die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit um eine Dimension zu bereichern.
Eine Vielzahl von Gespenstern tritt heutzutage in Erscheinung: Das Gespenst der Sicherheit, das Gespenst des Ölmangels, die Wiederkehr des Nationalismus, die neue Rechte und eine zunehmend neokonservative Haltung im Kontext internationaler Politik, um nur einige hier zu nennen. Gleichzeitig bestimmen militärische und geopolitische Machtphantasmen die gegenwärtigen politischen Diskussionen. Diesen komplexen Problemen in einer umfassenden Darstellung und Bearbeitung gerecht zu werden übersteigt den Rahmen dieses Projekts. Die beängstigenden Entwicklungen beschreiben jedoch den gesellschaftlichen Hintergrund vor dem „New Ghost Entertainment-Entitled“ stattfindet.
AutorInnen und KünstlerInnen: David Askevold, Madeleine Bernstorff, Walead Beshty, Sladja Blazan, CHEAP und Vaginal Davis, Doris Chon, Stephan Dillemuth, Paul Gellman, Frauke Gust, Judith Hopf, Marie Jager, Annette Kelm, Alan Klima, Alice Könitz, Cristóbal Lehyt, Julie Lequin, David Maljcovic, Marriage (James Tsang/Math Bass), Molly McGarry, Reza Monahan, Arthur Ou, Katrin Pesch, Michael Rashkow, Josef Strau, Fredrik Strid, Stephanie Taylor, Odila Triebel, Jan Tumlir, Niels Werber, Michaela Wünsch & Stafeta: Lisa Marie Auer, Bernd Imminger, Nadja Schuett
New Ghost Entertainment-Entitled entstand im Rahmen des gleichnahmigen Ausstellungsprojektes in Kooperation mit der Or Gallery Vancouver, Kanada und des Kunsthaus Dresden, Städtische Galerie für Gegenwartskunst, Dresden, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
Herausgeberin: Katrin Pesch

 

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