Herausgegeben von Chris Hirte und Conrad Piens
Der Krieg ist vorbei, die Revolution am Ende: Ende April 1919. Seit zwei Wochen sitzt Mühsam im Zuchthaus Ebrach, nur allmählich dringen die Nachrichten von der blutigen Niederschlagung der von ihm mitbegründeten Münchener Räterepublik zu ihm durch. Im Tagebuch lässt er seinen Gefühlen freien Lauf: Schock, Entsetzen, Trauer, Wut. Er hält Rückschau, forscht nach den Ursachen des Scheiterns und beginnt seinen langen Kampf für die Vollendung der Revolution.
Sein Anarchismus wird auf eine harte Probe gestellt. Die Ereignisse haben ihn gelehrt, dass Idealismus, Friedenssehnsucht und Begeisterung nicht ausreichen, um eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten. Aber wie kann man die Revolution gegen Verrat, Lüge, militärische Gewalt verteidigen? Es muss gehen, befindet er, notfalls auch mit militärischen Mitteln. Doch jede Form von Obrigkeit, sei es in Gestalt einer Armee oder einer Partei, lehnt er ab. Zu Hilfe kommt ihm das Zauberwort von der „Diktatur des Proletariats“. Kann es auch dazu dienen, die Anarchie zu erkämpfen? Mühsam stellt Gemeinsamkeiten zwischen Bakunin und Lenin fest und entwirft eine Befreiungsstrategie, die ohne Kaderparteien und militärische Befehlshaber auskommt.
Zugleich führt er einen zähen Kleinkrieg gegen die bayerische Rachejustiz: Mit solidarischen Aktionen, Hungerstreik, Eingaben und Prozessen versucht er, für sich und seine Mitgefangenen menschenwürdige Haftbedingungen zu erzwingen. Doch leicht ist es nicht, die „Genossen“ zum gemeinsamen Handeln zu überreden..
Erich Mühsams „Tagebücher“ sind ein „einzigartiges Zeitdokument“ (FAZ), die historisch-kritische Ausgabe wird von Chris Hirte und Conrad Piens herausgegeben. Sie erscheint in 15 Bänden im Verbrecher Verlag und zugleich als Online-Edition mit einem umfassenden Anmerkungsapparat unter www.muehsam-tagebuch.de.
Weitere Informationen unter: www.muehsam.de und www.erich-muehsam.de
Mühsams Tagebuch jener Tage, das wir jetzt ungekürzt lesen können, ist ein phantastischen Dokument aus irrsinnigen Zeiten…
Volker Weidermann / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Mühsams Aufzeichnungen, die mehr als 6000 Druckseiten umfassen, sind eine herausragende Zeitchronik und ein hinreißender Lebensroman, in ihrer Bedeutung vergleichbar mit den Diarien der Brüder Goncourt. Gleichzeitig mit der Print-Version erscheinen die Texte auch online, hervorragend aufgearbeitet und mit Register, Almanach und Anmerkungen versehen.
Christian Schröder / Tagesspiegel
Mühsams Tagebuch ermöglicht einzigartige Einblicke in die Mentalitätsgeschichte einer Epoche: in die Wilhelminische Reichsfolklore, in die Material und Menschenschlachten des Ersten Weltkrieges, in die Tiefenschichten des Weimarer Zerrissenheitsgefühls, das nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 in Diktatur, Rassenhass und Krieg mündete.
Wolfgang Paterno / Profil – Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs
Mit dem Herausbringen jedes neuen Tagebücherbandes wird immer klarer: Diese Herausgabe ist vielleicht das bedeutendste kulturelle, literarische und in erster Linie Erkenntnis stiftende Ereignis der letzten Jahre. […] Mühsams Tagebücher, trotz (oder dank) seiner offenen Voreingenommenheit in politischen Fragen, trotz (oder dank) seinen Illusionen und Utopien, trotz (oder vielmehr dank) seiner etwas kindischen Ehrlichkeit in allen Sachen des Lebens, beginnend mit dem brillanten Stuhlgang und bis hin zum Glück des deutschen Volkes, lassen die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert sichtbar, spürbar wiederauferstehen. Das ist vielleicht das Wichtigste an ihnen – die von ihnen erwirkte Wiederkehr der Geschichte in unser Bewusstsein.
Oleg Jurjew / Fixpoetry
Die vorliegenden Aufzeichnungen sind also Notizen aus dem Gefängnis – sie bieten ein Ensemble von Reflexionen über Krieg, Revolution und Haft, über politische und theoretische Belange, über die Lebensumstände und Schikanen in den verschiedenen Haftanstalten, über Mithäftlinge (wie den Dichter Ernst Toller, der ebenfalls wegen seiner Beteiligung an der Räterepublik verurteilt worden war), über Besucher. […] Mühsams Aufzeichnungen sind eine lebendige und wichtige Quelle für die Rekonstruktion sowohl der revolutionären Ereignisse als auch des anarchistischen und revolutionären Denkens.
Walter Fähnders (Osnabrück University) / The German Quarterly
Der sechste Band nun widmet sich auf über 400 Druckseiten einem Zeitraum von nur wenig mehr als einem halben Jahr, April bis November 1919. […] Wie gehabt, so ist auch dieser neuerschienene Band parallel online veröffentlicht worden und digital durch ein detailliertes Register, Faksimiles der Handschrift und zusätzliche Dokumente erschlossen. Der jüngste Band bestätigt so erneut die große editorische Leistung der Herausgeber und des Verlages.
Martin Ingenfeld / literaturkritik.de
Der Ton dieses Haft-Tagebuches ist verständlicherweise bitter, doch in seinen revolutionären
Grundüberzeugungen und in seinem politischen Idealismus ist Mühsam auch hier durch Nichts zu erschüttern.
Ronald Schneider / ekz. bibliotheksservice