Von Manja Präkels
Isolieren, denunzieren, abschieben – die geplante Kasernierung von Flüchtlingen untergräbt deren Grundrechte. Die CSU erhofft sich freilich genau davon den Sieg bei der Landtagswahl in Bayern.
Es ist ein Vorhaben von höchster Priorität. Im Herbst sollen die ersten von Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbarten sogenannten Anker-Zentren eröffnet werden. AnkER steht für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“. Da klingt die „strategische Topmanagement-Beratung auf höchstem Niveau“ des Beratungsunternehmens McKinsey durch, die auch vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Anspruch genommen wird. Was es bedeutet: Bis zu 1.500 Geflüchtete pro Zentrum sollen für die gesamte Dauer ihrer Antragsprüfung kaserniert werden. Erst mit positivem Asylbescheid erfolgt die Verteilung auf Städte und Gemeinden. Wer keinen erhält, wird direkt abgeschoben. Diese schnelle und vor allem der Wahrnehmung der Zivilgesellschaft entzogene Abschiebung ist das Hauptziel der neuen hochgesicherten Lagerhaft, die sich „Bleibepflicht“ nennt. Außerdem sollen hier alle zuständigen Behörden unter einem Dach arbeiten und so die Verfahren beschleunigen. Je nach „Bleibeperspektive“ sind dennoch Aufenthalte von bis zu 24 Monaten möglich.
Wer wissen möchte, wie es in den Anker-Zentren aussehen wird, dem sei ein Besuch in der „Aufnahmeeinrichtung Oberfranken“ (AEO) in Bamberg oder im „Transitzentrum“ Machning/Ingolstadt empfohlen. Beide funktionieren bereits weitgehend nach demselben Prinzip. Die Zustände dort sind aus Perspektive der Flüchtlinge als verheerend zu bezeichnen. Sie sind mit verschärfter Residenzpflicht hinter Stacheldraht isoliert, von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Türen können nicht abgeschlossen werden, die Zimmer werden regelmäßig von Security-Mitarbeitern durchsucht, und um der gesetzlichen Schulpflicht für Kinder genüge zu tun, gibt es reduzierte Unterrichtseinheiten direkt im Lager.
Schon in der letzten Großen Koalition hatte die CSU auf gesicherte Massenunterkünfte als Generallösung gesetzt. Damals scheiterte sie noch am Widerstand der SPD. Nun, da die Anker-Zentren auf Bundesebene Regierungswille sind, ist Widerstand in den Ländern gefragt. Und tatsächlich artikuliert sich hier und dort vorsichtiger Unmut. So wundern sich etwa Mitarbeiter der Saarländischen Aufnahmestelle im Städtchen Lebach laut über die Ankündigung ihres Ministerpräsident Tobias Hans (CDU), in der Pilotphase mitzuwirken. Selbst als 2015 bis zu 5.000 Geflüchtete in Zelten campieren mussten, hätte man sich stets auf die Akzeptanz der Menschen vor Ort verlassen können. Es gibt dort weder Zäune, noch Kontrollen. Kein Bedarf an systemischer Veränderung. 600 Kilometer weiter östlich hält Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) die Pläne ihrer Landesregierung gar für eine Gefährdung der Inneren Sicherheit. Man müsse darauf achten, Bundes- oder Landespolizisten „in solchen selbst geschaffenen Gefährdungspunkten nicht zu verheizen.“ Ähnlich sieht es Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU): Die Kapazität von 1.000 bis 1.500 Flüchtlingen sei „zu hoch, da es bei dieser Größe viel Konfliktpotenzial geben könnte“. In solchen Kritiken schwingt stets ein hässlicher Unterton mit. Schließlich ist auch die AfD der Ansicht, dass die neuen Massenunterkünfte „den Frieden in der Region gefährden“ könnten und plädiert deshalb dafür, sie ins Ausland oder wenigstens in unmittelbare Grenzlage zu verlegen.
Und weil weiterhin die Devise gilt, die AfD sei nur zu besiegen, indem man ihre Themen übernimmt, traut sich kaum ein Landespolitiker neben Sicherheitsaspekten auch den „massiven Eingriff in die Grund- und Menschenrechte“ zu kritisieren, den die Landesflüchtlingsräte in den Anker-Zentren sehen.
Nur aus der CSU gibt es keine Untertöne mehr. Begeistert von der eigenen Regierungspotenz pöbelt man in zünftiger Offenheit fröhlich vor sich hin. Etwa am Beispiel Ellwangen, wo sich Migranten mit einem jungen Mann aus Togo solidarisierten und kurzfristig dessen Verhaftung verhinderten. Der 23jährige sollte nach der Dublin-Verordnung, also ohne inhaltliche Prüfung seines Asylantrages, nach Italien überstellt werden. Dort leben nach Angaben der „Ärzte ohne Grenzen“ bereits jetzt Tausende wohnungslose Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen am Rande der Gesellschaft. „Unser Protest war bestimmt, aber zu jedem Zeitpunkt friedlich“, erklärten die ungehorsamen Mitbewohner anschließend. Für Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer war es dennoch ein „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“. Dass diese prompt zurückschlug, indem sie dem Anwalt des jungen Togoers Morddrohungen schickte, wurde indes von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt übertönt, der eine veritable Verschwörung herbeifantasierte: „Die Anti-Abschiebe-Industrie nutzt die Mittel des Rechtsstaates, um ihn durch eine bewusst herbeigeführte Überlastung von innen heraus zu bekämpfen.“ Tatsächlich ist wohl eher das Gegenteil der Fall, denn viele Negativbescheide des BAMF scheinen weniger der Rechtslage als politischem Druck zu folgen. Anders ist kaum zu erklären, dass 2017 rund 44 Prozent der Verfahren gegen BAMF-Bescheide zugunsten der Asylbewerber ausgingen. Wie hoch wohl die Fehlerquote in den neuen Anker-Zentren sein wird? Wir werden es vielleicht nie erfahren. Schließlich soll die Isolation der Asylbewerber auch die Rechtsberatung erschweren, während gleichzeitig die zivilgesellschaftlichen Akteure der einst von Angela Merkel ausgerufenen Willkommenskultur mit immer neuen Abschreckungsmaßnahmen traktiert werden. Wie im Fall einer Gießener Gruppe von Flüchtlingspaten, die nun vom Job-Center für den Unterhalt ihrer Schützlinge zur Kasse gebeten werden.
Mit den Anker-Zentren soll solch solidarisches Handeln von vorneherein unterbunden werden. Unklar ist aber noch, wer die Lager sichern und kontrollieren soll. Seehofer sieht diese Aufgabe bei der Bundespolizei. Deren Gewerkschaften sind gar nicht begeistert von der Idee. „Mit uns nicht“, erklärte beispielsweise Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die ein zehnseitiges Schreiben zum Thema an die Bundestagsfraktionen von CDU, SPD, Linken und Grünen verschickte. Unter anderem heißt es darin, die Anker-Zentren seien mit dem deutschen Recht unvereinbar. Eine „Haft ohne richterlichen Vorbehalt“ würde gegen Artikel 104 des Grundgesetzes verstoßen. Auch bringe die „Internierung oder Freiheitsentziehung“ letztlich keine schnelleren Asyl-Entscheidungen. Davon abgesehen wolle man nicht zur „Lager-Polizei“ werden, so Radek.
Seehofer dürften solche Einwände einerlei sein. Er hat mit dem Thema Ankerzentren vor allem eines klargestellt: Wer CSU wählt, wählt Abschiebung. Das freut den deutschen Untertan: Dem jüngsten »ARD-Deutschlandttrend« zufolge hat der CSU-Vorsitzende bei der Zufriedenheit der Wählerschaft im Vergleich zum März zwölf Prozentpunkte hinzugewonnen und liegt nun bei satten 47 Prozent. Angst machen, Stimmen fischen, denunzieren. Rechts von der CSU die Wand. Die nächste Wahl steht an.
Zuerst erschienen in der Wochenzeitung Jungle World, Ausgabe 20/2018