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Von Erich Mühsam

 

Die Reichspräsidenten-Komödie zunächst. Da war nach allerlei Gezottel und Gemächel endlich der Wahltermin auf den 3. Dezember festgelegt worden, und schon sollte der Werberummel für Ebert losgehn, denn kein andrer – dies las man in Sozi- wie in Bayernblättern – hat soviel Anspruch auf das Vertrauen des „Volks“ wie der durch seinen „Takt“ und durch sein vielfach bewiesenes Verständnis für Konterrevolutionäre und ausbeuterische Bestrebungen jeder Art hochbewährte Fritz. Aber plötzlich tauchten Schwierigkeiten auf. Die Stinnespartei, die bisher dauernd auf die Wahl hingedrängt hatte, fand, daß ihr Eintreten für Ebert am Ende doch auf einen Teil ihrer Gefolgschaft, der die Identität von Geschäft und Patriotismus noch nicht ganz begriffen hat, schlechten Eindruck machen könnte, fand andrerseits, daß jetzt grade nach der Einigung der Ditt- und Scheidemänner die Aufstellung eines Gegenkandidaten kaum aussichtsvoll sei, zumal eine bürgerliche Sammelkandidatur infolge der Nominierung Hindenburgs durch die Deutschnationalen nicht mehr möglich war, – und daß die Wahl Hindenburgs für ganz Stinnesien eine Katastrophe bedeuten müßte, mochten sie doch wieder ihren Getreuen nicht gradeheraus eingestehn, und so leiteten Stresemann und die Seinen eine Aktion ein, um die Verschiebung der Wahl auf einen für sie geeigneteren Zeitpunkt zu erreichen, gewannen auch Zentrum und Demokraten und Bayerische Volksparteiler dafür und mußten dann nur vor den Sozi zurück, die auf dem heiligen 3. Dezember bestanden und bei ihren 180 Reichstagssitzen mit den Stimmen der Deutschnationalen und Kommunisten die Mehrheit dafür gehabt hätten. Aber man fand wieder einmal ein wunderbares Kompromiß, ausgeheckt im Bregen Hermann Müllers, freudig aufgegriffen von den Stinnesmannen: es wird eine neue Verfassungsänderung mit ⅔ Mehrheit beschlossen; Ebert bleibt danach ohne Wahl Präsident bis zum 30. Juni 1925 und zwar „definitiver“ statt wie bisher als Platzhalter für sich selbst. Die gewaltige Mehrheit dafür – von Emminger bis Crispien – ist gesichert, und alle Ängste sind behoben. Die Deutschnationalen toben freilich und Escherich tritt trotz seiner Entthronung als der Retter in der Not mit einem offenen Brief an Ebert auf den Plan und ersucht ihn, sich zu dem Betrug nicht brauchen zu lassen. Er hat nämlich anscheinend nicht begriffen, worum das ganze Theater geht: um die endliche Herstellung der „großen Koalition“. Nachdem sie schon das wähleifrige „Volk“ um die schöne Aussicht, nach langer Pause mal wieder persönlich Politik machen zu dürfen, geprellt haben und somit schon ein unsauberes Geschäft miteinander besorgt haben, ist ja die Hauptschranke gefallen und die Regierung in die Lage versetzt, ohne das Eindringen von Grundsätzen gebundener Politiker befürchten zu müssen, sich zu vervollständigen, indem sie die Erweiterung nach „links“ etwa durch Hilferding durch die Übergabe einiger Ressorts an Stinnes-Beauftragte kompensiert. Bei dieser ganzen Groteskposse darf man auch das Verhalten unsrer lieben Parteikommunisten nicht übersehn. Man hätte vermuten können, diese rabiaten Gegner der bürgerlichen Gesellschaft, die den Ministerialismus der übrigen Sozialisten mit heißem Zorn verfolgen, würden sich nicht mit an die Krippe drängen, wenn der auf die Weimarer Verfassung zu vereidigende Präsident aller deutschen Koalitions- und Stinnes-Ministerien zu wählen ist. Aber – je nun: Charakter ist nur Eigensinn, sagt Paul Scheerbart.

 

Aus Tagebücher. Band 12, 1922 – 1923, Auszug aus dem Eintrag vom 21. Oktober 1922.

Siehe auch: www.muehsam-tagebuch.de