Veränderung beginnt am Rand. Als die Bundesrepublik in den 70er-Jahren ihren Weg in die Moderne sucht, verlassen die Architekten und Planer die Zentren der großen Städte. Vor den Toren Frankfurts entsteht die Nordweststadt, im Schatten der Berliner Mauer die Gropiusstadt. In dieser Zeit wird im Norden von Bremen die Grohner Düne gebaut. 527 Wohneinheiten, Platz für mehr als 1500 Menschen. Aus dem 13. Stock kann man weit in die Zukunft sehen.
Später gerät die Grohner Düne in Verruf. Drogen, Kriminalität, und Ghettobildung: Hier wohnen nur noch die, die keine Wahl haben. Zuletzt wird immer wieder von Abriss gesprochen. Doch die Düne bleibt. Man versucht zu reparieren, was zu reparieren ist. Die Erfolge der Bausanierung und des social engineering werden durch eine 24-Stunden-Videoüberwachung und einen privaten Wachschutz abgesichert. Veränderung beginnt am Rand. Wie weit kann man heute schon vom 13. Stock aus sehen? Florian Thalhofer und Kolja Mensing haben einen ungewöhnlichen Dokumentarfilm gedreht. „13terStock“ erzählt von hohen Häuser und kleinen Welten, von Schöner Wohnen und sicher Leben, von Angst, Architektur und Abenteuer. Vor allem geht es um die Heimat im Hochhaus – und anderswo. Herr Berisha berichtet, wie seine Familie aus dem Kosovo vertrieben wurde, Herr Özgüvenç, der einen Gebrauchtwarenladen in der Siedlung betreibt und vor dreißig Jahren als türkischer Gastarbeiter eingewandert ist, findet, dass Deutschland endlich die Grenzen schließen muss, und Frank sucht auf dem Hof der Siedlung nach den Bruchstücken seiner Kindheit. In der Wirklichkeit passieren Geschichten nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. „13terStock“ setzt darum auf eine interaktive und non-lineare Erzählweise. Mit der Maus klickt der Betrachter sich seinen eigenen Weg durch den Film, der von der DVD-Rom aus auf Mac und PC abgespielt wird.
Der interaktive Dokumentarfilm „13ter Stock“ Von Florian Thalhofer und Kolja Mensing wurde auf dem Stuttgarter Filmwinter 2006 mit dem IBM Preis für neue Medien ausgezeichnet.
In einem in den siebziger Jahren errichteten Urbanisationsungetüm im Stadtteil Grohn hat Mensing mit dem Dokumentarfilmer Florian Thalhofer einen Heimatfilm der besonderen Art realisiert, der jetzt auf DVD zu haben ist. Im dreizehnten Stock eines der unwirtlichen Siedlungswolkenkratzer der so genannten Grohner Düne haben beide den Sommer des vergangenen Jahres verbracht. Und die Bewohner des wegen Drogen, Kriminalität und hoher Arbeitslosigkeit verrufenen Viertels vor laufender Kamera erzählen lassen. Traurige und lustige, erschreckende und mutmachende Geschichten haben sie zusammengetragen. Dankenswerterweise ist ihre bewundernswert komponierte DVD interaktiv konzipiert, sprich: der Zuschauer kann sich ins Leben und Leiden eines anderen Grohners klicken, wenn er es nicht mehr aushält. Eine bewegende Dokumentation; nicht nur für Bremer.
Hendrik Werner / Die Welt
Die non-lineare Erzählweise, die sich aus dem interaktiven Zugang ergibt, bedeutet für die Jungfilmer zugleich eine besondere Form von Annäherung an die Realität: Sie wollen der Parallelität der Ereignisse gerecht werden. Die Figuren reden in kurzen Sequenzen über Aspekte ihres Lebens. Der fragmentarische Charakter ihrer Aussagen wird durch die interaktive Form betont. Im Hochhaus koexistieren verschiedene Kulturen. Irgendwie funktioniert das. Die Leute, die in 13. Stock zu Wort kommen, werden weder bemitleidet, noch als „Asoziale“ abgestempelt. Thalhofer und Mensing kommentieren die Aussagen behutsam.
Lutz Steinbrück / Tagespiegel
Das kommt alles sehr unspektakulär rüber. Angenehm frei fühlt man sich bei dieser Art von Geschichtserzählung, dieser Art Dokfilm. Ganz nebenbei dürfte im Korsakow-System die Möglichkeit der Zukunft liegen, audiovisuell zu erzählen.
taz
Was sind das für Menschen, die dort auf engstem Raum leben? Letzten Sommer zogen Videokünstler Florian Thalhofer und Autor Kolja Mensing in eine Wohnung im 13. Stock und sammelten Geschichten. Die von Herrn Özgüvenç, dem der Laden „Aladin“ an der Vorderseite der Grohner Düne gehört, wo er Waschmaschinen und Taschenrechner verkauft. Von Frau Witt, die bei den Zeugen Jehovas ist und für die beiden Neuankömmlinge Pizza bäckt. Von Frau Berishas Kopfschmerzen. Von Ingrid Gallas Erinnerungen an Tanz in den Mai. Von Selbstmorden. „Viele kommen extra her und stürzen sich vom Balkon“, sagt eine Frau auf einem Sofa.
Donaukurier
Wenn die Anhängerin der Zeugin Jehovas von ihrer Beziehung zu Gott erzählt und über den Terrorismus schwadroniert, wenn supercoole Zwölfjährige mit ihren sexuellen Erlebnissen prahlen, kleinkriminelle Jugendliche in die Kamera rappen oder von ihren Raubzügen berichten, dann gerinnt das unter den Händen von Thalhofer und Mensing durch geschickte Schnitte und sparsame, aber wirkungsvolle Kameraführung zu „authentischer“ Footage, die in dieser Form ihresgleichen sucht. Dafür, dass all diese gestohlenen Geschichten nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden, (nach dem Motto: „Seht, wie sie leben!“), stehen Mensing und Thalhofer mit ihrer Art des Erzählens ein, denn sie sind zwar Diebe, aber keine Denunzianten.
Marcus Hammerschmitt / Telepolis
[…] wie alle Dokumentarfilmer sind sie Geschichtenräuber. Und wie alle guten Dokumentarfilmer machen sie diejenigen, die sie filmen, zu Subjekten ihrer eigenen Geschichten.
Spex
[…] Alltäglichkeit, die erst im Film gebannt zur Reflexion anregt […] Im eigenen Tempo lässt man sich von der Erzählung gefangen nehmen, die ein differenziertes Bild vom Leben nach der Planung entstehen lässt.
Bauwelt