Gedichte, mit 22 Kaltnadelradierungen von Sabine Kahane und einem Nachwort von Jakob Hessing
Chaim Nolls Gedichte sind Notizen, die auf seinem langen Weg aus Deutschland in die Wüste Negev entstanden sind. Die Gedichte folgen Nolls Lebensweg von Berlin über Rom, Tel Aviv in den noch weitgehend unerschlossenen Süden Israels. Seine Erfahrungen und Gefühle spiegeln sich in den formal strengen Versen wider.
Die Künstlerin Sabine Kahane, die seit vier Jahrzehnten mit Noll zusammenlebt, schrieb über diese Texte: »Laufend durch den hellen Wüstensand entstehen seine Gedichte, in der Metrik seiner Schritte wirbeln sie auf.« Sie hat den Band mit 22 Grafiken aus den letzten Jahren illustriert.
Herbst 89
Die Stadt ist müde geworden wie ich sie zu lieben
Vögel fliegen in schlaffer Kurve aufs Dach
Nichts spricht zu mir keine Stimme zu hören
Ungelesen liegen die Briefe im Fach
Als sei die Wolke zu niedrig geflogen
mit durchhängendem rosa Bauch
wie ein Schiff das auf Grund schrammt geborsten
bricht plötzlich der Regen aus
Berlin, August 1989
Konzert für Kolibri und Kampfflugzeug (I)
Der Tag steigt auf in halbem Dämmern
fange ich Sätze ungeschriebne Träume
die Bilder blütenschwerer Bäume
und vom Gewölbe kommt wie Hämmern
Hall Widerhall und scharfes Krachen
der Kampf der Eulen mit den Krähen
um einen Platz zum Nisten Spähen
der Bülbüls liebestolles Lachen
Mein Wüstengarten glüht orange und gold
lackierte Vögel schwarz und blau
in kalter Morgenstunde Tau
sind still die Blüten eingerollt
Omer, 1999
Stille am ersten Tag des Friedens
Die Luft leer
Zart blauer
makelloser
Himmel
Gibt vor
der Himmel
jedes neuen Tags
zu sein
Die Ruhe
die er birgt
ein schöner
Schein
Meitar, 2014